Gedichtinterpretationen gelten als langweilig. Doch ist es eines der faszinierendsten Dinge, die man in Schule und Freizeit unternehmen kann, sich mit Gedichten zu beschäftigen, sich ihnen zu nähern, sie zu verstehen, ihre Bedeutungen zu entschlüsseln und uns von ihnen bereichern zu lassen. Dazu lohnt es sich, wenn man sich sensible und angemessene Formen von Gedichtinterpretationen aneignet. Einem Gedicht wollen wir uns nähern, wie einer Dame beim Ball: höflich, sensibel und intelligent. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass wir uns verlieben; in die Dame oder in das Gedicht. Und dazu sollte man tanzen können, ebenso wie es sich lohnt, ein Gedicht lesen und verstehen zu können!
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine Gedichtinterpretation?
Gedichte gehören zu den ältesten Äußerungsformen der Menschheit. In prähistorischen Kulturen gab es keine Unterscheidung zwischen Zauberspruch, Bannfluch, Heilformel und rituellen Deklarationen. Erst nach und nach, besonders seit Erfindung von Aufschreibsystemen, zweigten sich religiöse Texte von juristischen oder historischen und anderen erzählenden ab. Dennoch können wir viele Texte der Bibel, wie etwa die Psalmen, aber auch Texte anderer religiöser Überlieferungen, wie etwa das Ägyptische Totenbuch, mit Fug und Recht als »Gedichte« ansprechen. Die Gelehrten vieler Jahrhunderte haben sich damit beschäftigt, diese Texte zu verstehen und für ihre Zeitgenossen zu deuten. Solche »Gedichtinterpretationen« ihrer Schriftgelehrten waren für die Menschen vieler Epochen wie Gesetze, denn die Texte wurden als göttliche Äußerungen verstanden, die es richtig zu deuten galt. Wenn wir heute ein Gedicht lesen, auf uns wirken lassen und zu verstehen versuchen, stehen wir also durchaus in der Nachfolge der alten Schriftgelehrten. Der Unterschied besteht darin, dass wir das Gedicht nur noch im übertragenen Sinne als göttliche Äußerung betrachten. Immerhin dient es uns dazu, Dinge und Fragen ausgedrückt zu finden, die sich anders nicht sagen lassen. Ein Gedicht macht uns also klüger und schärft unsere eigene Ausdrucksfähigkeit.
Vorarbeit für die Gedichtinterpretation
Update folgt
Aufbau & Gliederung der Gedichtinterpretation
Einleitung:
- Name des Dichters (sofern bekannt).
- Zu welchem Anlass wurde das Gedicht geschrieben?
- Zusammenfassung des Inhalts.
Hauptteil:
Nehmen wir als Beispiel das Gedicht Das Fräulein stand am Meere von Heinrich Heine.
Das Fräulein stand am Meere
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
Inhalt
Ein Fräulein steht gerührt am Meer. Der Dichter spricht es direkt an mit der ironischen Bemerkung, dass die untergegangene Sonne wieder aufgehen wird.
Aufbau
Wir haben es mit zwei volksliedartigen Strophen zu je vier Versen zu tun. Das Reimschema ist Paarreim: ABAB. Die erste Strophe beschreibt die Szene des am Meer stehenden Fräuleins, in der zweiten spricht der Dichter direkt zur Protagonistin.
Sprache
Wir haben es in der ersten Strophe mit einem betont einfachen, ironisch überspitzten romantischen Ton zu tun. In der zweiten Strophe kippt dieser vollends in die Parodie und den Ulk um.
Interpretation
Heinrich Heine gilt selbst als einer der bekanntesten Dichter der Romantik. Nun kann man gerade bei einem Gedicht oft vom Spezifischen auf das Allgemeine schließen. Es ging Heine also nicht darum, irgendein Fräulein auf den Arm zu nehmen. Vielmehr lässt er die gesamte Romantik mit ihrer Naturbeschwörung in den Humor umkippen. Das zeigt, dass Heine sich hier von der Romantik verabschiedet, zu der er selbst mit zahlreichen Gedichten beigetragen hat.
Schluss
Wir haben es mit einer kurzen, pointierten und witzigen Parodie auf die romantische Dichtung zu tun. Heinrich Heine scheut sich nicht, sich über die romantischen Dichter (und damit auch sich selbst) und ihre Leser lustig zu machen. Dabei behält er die volksliedhafte Einfachheit romantischer Dichtung bei.
Literarische Wertung
Wie gefällt dir das Gedicht? Findest du es witzig oder albern? Begründe deine Wertung! Hier könnte ein entscheidendes Kriterium sein, ob der Dichter die Aufgabe, die er sich stellte, auch gelöst hat und wie kunstvoll ihm dieses gelungen ist.
Induktive Methode vs. Deduktive Methode
- die induktive Methode:
- Update folgt
- die deduktive Methode:
- Update folgt
Reime und ihre Formen
1.) Reimformen nach Silbenzahl
Einsilbig, männlich, »stumpf«
Der Esel steht vor einem Haus,
und sieht nicht gerade glücklich aus.
Zweisilbig, weiblich, »klingend«
Er aß gern die belegten Brötchen
und fuhr sehr schnell mit seinem Bötchen.
Dreisilbig, gleitend, »reich«
Der Mensch glaubt gern an seine Wichtigkeit
vergisst dabei die eigene Nichtigkeit.
2.) Reimformen nach Stellung im Vers
Anfangsreim
An der großen Mauer
kann man sich erfreuen.
Ausgangsreim
Er sah das Mädchen in der Schule,
es saß dort still auf einem Stuhle.
Binnenreim
In dem Haus lebt die Maus.
Echoreim
Was ist schlimmer als Schnaken? Kraken!
Inreim
Eine platte graue Matte
liegt vor meiner Tür.
Mittelreim
Er ist der Bruder dieser Frau;
sie ist ein Luder, wie man weiß.
Mittenreim
Die Braut ist uns bekannt,
sie wird genannt in jeder Stadt.
Schlagreim
Die Lauten vertrauten der großen Trompete.
Übergehender Reim
Es tanzten den Tanz
Franz und sein Mädchen.
Überschlagender Reim
Franz liebt den Tanz.
Zäsurreim
Uns ist in alten Mæren wunders vil geseit
von Helden lobebæren, von grôzer arebeit
(Nibelungenlied)
3.) Reimformen nach phonologischer Struktur
Äquivoker Reim
Die drei Waisen
sangen schöne Weisen.
Assonanz
Und ich will es doch versuchen,
hier zu leben, nicht zu bluten.
Doppelreim
Im Traum hat dieser Hoppelhase
eine rote Doppelnase.
Endsilbenreim
Ich freue mich seit Tagen, denn
endlich gibt es Ferien.
Historischer Reim
If this be error and upon me proved,
I never writ, nor no man ever loved.
(Shakespeare, Sonett No. 116)
Identischer Reim
Dann führe ich den letzten Schlag.
Es ist ein tödlich harter Schlag.
Parareim
Morgens pflanzen hier die Riesen
Große wunderschöne Rosen.
Reiner Reim
Es bietet jeder neue Tag
das, was jeder Jäger mag.
Reicher Reim
Gerne möchte ich Lieder singen,
die im Echo wiederklingen.
Rührender Reim
In der Stille steht es,
Und im Winde weht es.
Schüttelreim
Im Fleischextrakt mit Kinderreim
verbirgt sich oft ein Rinderkeim.
Unreiner Reim
An einem Tag wie heute
tut man dir nichts zuleide.
Vorreim
Warum musst du ihn verklagen?
Besser wär es, sich vertragen.
4.) Reimformen gemäß morphologisch-lexikalischer Besonderheiten
Augenreim
Diese Frau bringt mich in Rage;
Nicht nur heute; alle Tage!
Gebrochener Reim
Ich schenke zum Familien–
fest am liebsten Lilien.
Gespaltener Reim
Zum Zwecke eines Rufes
Stell dich hin und ruf es!
Grammatischer Reim
Die schönste Form von Trauer
ist die, wenn man gern trauert.
Ohrenreim
Ich fragte sie: »My love,
warst du denn auch brav?«
Umgekehrter Reim
Können sie sich darüber wundern,
Dass sie so berogen wurden?
Vexierreim
Ich geh mit riesengroßen Schritten,
und betrachte ihre Schulter.
5.) Reimformen, geordnet nach Versenden
Haufenreim
Liederlich sind jene Mädchen,
welche in in kleinen Städtchen
wie ein gut geöltes Rädchen
sich durchschlängeln wie am Fädchen.
Paarreim
Auf hoher See, in tiefem Meere
kommt dem Schiffer in die Quere
immer wieder mal ein Boot
welches schon in großer Not.
Kreuzreim
Ich fuhr per Bahn nach Heidelberg
und sah in großer Ruh
Perkeo, dem berühmten Zwerg
beim Flaschenleeren zu.
Umarmender Reim
Glaubst du an Zufall und Geschick?
Glaubst du an Stolz und Ehre?
Es sei dir eine Lehre.
Versuche selbst dein Glück!
Schweif- oder Zwischenreim
Ich suchte dich in allen Landen,
ich fand dich schließlich im Spital
und war erleichtert wie noch nie.
Für viele, die die Liebste fanden
war es letztendlich eine Qual
und keine Nostalgie.
7. Sonderformen
Stabreim
Mach mich munter, müde Maus!
Waise
Es blüht am Weg
der Dattelbaum,
er blühet auch am Steg.
Weitere wichtige sprachliche Mittel
Strophe
Die Zusammenfassung mehrerer Verse zu einer Sinneinheit, meist durch Absatz von der nächsten Strophe getrennt.
(Hier:
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehr
Der Sonnenuntergang.)
Vers
Einzelne Zeile in einem Gedicht.
(Hier: Das Fräulein stand am Meere.)
Metapher
Rhetorisches Stilmittel, bei dem ein Lebewesen oder Gegenstand durch ein anderes bezeichnet wird. Etwa Wüstenschiff für Kamel, oder Heimgang für Tod. Durch dieses Stilmittel soll der Ausdruck gesteigert, oder, im Gegenteil, abgeschwächt werden.
Symbol
Bild oder Erkennungszeichen oder Sinnbild, das für etwas anderes steht, etwa Schwert für Krieg, Löffel für Speise oder Schiff für Meer. Dadurch soll der Ausdruck poetischer gestaltet oder allgemein verständlich abgekürzt werden.
Personifikation
Rhetorisches Stilmittel, bei dem Dingen oder Naturkräften menschliche Handlungsweisen unterlegt werden. Etwa: Der Winter schläft. Der Krieg erwacht. Die Natur trauert. Damit werden Vorgänge allgemeinverständlich und bildhaft anschaulich ausgedrückt und zusammengefasst.
Allegorie
Bildliches oder rhetorisches Stilmittel, Sinnbild, Verkörperung, bei dem ein abstrakter Begriff durch ein anschauliches Bild ersetzt und ausgedrückt wird. Beispiel: Figur der Justitia für Gerechtigkeit. Gestalt des Mars für Krieg. Besonders das bilderreiche Barock ist reich an Allegorien, sowohl in der Bildenden Kunst, als auch in der Dichtung und allgemein in der Rhetorik.
Häufige Fehler bei der Gedichtinterpretation
Falsch:
Unüberlegt nach dem Ersten Eindruck einfach losschreiben und sich dabei seinen Gefühlen überlassen.
Richtig:
Das Gedicht erst einmal laut lesen, auf sich wirken und »setzen« lassen. Und sich dann strukturiert die richtigen Fragen stellen: Aus welcher Epoche stammt das Gedicht? Was ist an dem Gedicht typisch für seine Epoche? Welcher Dichter hat es geschrieben? Was ist an dem Gedicht typisch für den Dichter? Welche Vers- und Reimformen verwendet der Dichter hier?
Falsch:
Den Inhalt des Gedichtes einfach nacherzählen.
Richtig:
Den Gehalt des Gedichtes und seine Substanz wiedergeben und nachweisen, wie es in sprachliche Mittel umgesetzt ist.
Falsch:
Die Interpretation eines bestimmten Gedichts aus einem Buch oder dem Internet abschreiben.
Richtig:
Das Gedicht auf den eigenen Geist wirken lassen und sich selbst Gedanken machen, sich auch als Person der Dichtung aussetzen.
Fehler Zusammenfassung:
- Form und Inhalt des Gedichts werden ungenügend oder gar nicht aufeinander bezogen (Beispiel: „Nach der Beschreibung von Aufbau, Reim und Versmaß komme ich nun zum Inhalt des Gedichts.“).
- Ein gegliederter Aufbau der Arbeit (Überleitungen, Zusammenfassungen usw.) ist nicht erkennbar. Das Ganze sieht aus wie eine Mathearbeit mit völlig unterschiedlichen Aufgaben.
- Thesen (Behauptungen) über die Hauptaussage(n) des Gedichts werden vorschnell, nach der allerersten Lektüre, getroffen. Die Beweisführung verfolgt nun nur noch diese These und ist für alles andere blind.
- Behauptungen zum Text werden nicht am Text belegt.
- Es wird unrichtig zitiert.
Grundbegriffe der Gedichtinterpretation
Update folgt
Zu ändern wäre im Aufbau, dass es sich um ein Kreuzreim handle und nicht um ein Paarreim.
Hallo.
Nur kurz zu dem was sie in ihrem Beispiel geschrieben haben. Im Aufbau steht das es sich um einen Paarreim handelt und es dementsprechend ABAB ist. Das Widerspricht sich leider. Auch später in ihren Ausführungen, welche weiteren Reime es noch gibt, widersprechen sie sich damit selbst. ABAB ist durchaus in ihrem Beispiel richtig, jedoch ist dies ein Kreuzreim. Ein Paarreim wäre AABB.
Mit freundlichen Grüßen
Heines Werk lässt sich keiner eindeutigen literarischen Strömung zuordnen.