Der Schweizer Gelehrte Johann Jakob Bodmer (1698–1783) wurde in Greifensee bei Zürich geboren. Dem Willen seines Vaters folgend, der in Greifensee Pfarrer war, schlug Bodmer die geistige Laufbahn ein und absolvierte in Zürich Ausbildung und theologische Studien in der Lateinschule und im Collegium Carolinum, einer 1525 gegründeten theologisch-philosophischen Hochschule, der Vorläuferin der heutigen Universität.
Im Jahr 1718 folgte Bodmer anderen Interessen und wandte sich der Branche zu, die ihm von mütterlicher Seite vertraut war, denn seine Mutter Esther Orell war die Tochter des Seidenfabrikanten Felix Orell zum Spiegel. Bodmer begann eine kaufmännische Ausbildung und bereiste Genf, Lyon und Lugano, wo er Kenntnisse im Seidenhandel erwarb. In dieser Zeit nahm Bodmers Interesse für Literatur und Geschichte einen immer größeren Stellenwert ein. Nach beruflichen Stationen unter anderem in der Zürcher Staatskanzlei wurde Bodmer im Jahr 1731 Professor für Helvetische Geschichte am Collegium Carolinum – ein Amt, dass er über vier Jahrzehnte, bis 1775, ausübte.
Seit 1720 verband ihn eine wegweisende, lange Freundschaft mit dem Zürcher Theologen und Philologen Johann Jakob Breitinger (1701–1776), der ab 1730 die Septuaginta, die aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzte Bibel, neu herausgab. Zusammen mit Konrad Orell, seinem Neffen, und Konrad von Wyss gründete Bodmer 1734 die Verlagsbuchhandlung Orell & Compagnie, nicht zuletzt, um einer Erneuerung der literarischen Kultur in Zürich in der Epoche der Aufklärung ein Publikationsorgan zu schaffen.
Als fruchtbar erwies sich – auch in den gemeinsamen Werken zur Kirchengeschichte – die Zusammenarbeit mit Bodmers Freund Breitinger. Mit der im Jahr 1740 erschienenen Schrift Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie positionierte sich Bodmer im „Zürcher Literaturstreit“ dezidiert (auch in der Wahl des Titels) gegen die von dem deutschen Gelehrten Johann Christoph Gottsched (1700–1766) entwickelte aufklärerische Poetik nach französischem Vorbild und der Verbannung des Hanswursts oder Harlekins, also der komischen Figur der Stehgreifkomödie, aus dem Theater. Gottscheds Vorstellung, dass die Poesie Regeln zu befolgen habe, die sich mit den Mitteln der Vernunft begründen ließen, fand in der deutschsprachigen europäischen Literaturszene der Zeit wenig Anhänger. Bodmer nahm zusammen mit Breitinger in der Präferenz der englischen Literatur mit ihren Fantasie- und Märchengestalten, theologischen Themen oder der Betonung des Irrationalen und Wunderbaren eine Gegenposition zu Gottsched ein, in der ihm viele großen Talente und Schriftsteller seiner Zeit folgten, darunter Johann Wolfgang von Goethe, Johann Heinrich Tischbein der Ältere, Friedrich Gottlieb Klopstock, Christoph Martin Wieland, Ewald von Kleist und Wilhelm Heinse, die ihn auch alle in Zürich besuchten.
Bodmers Weltoffenheit zeigte sich in der Vorliebe für die englische Literatur, etwa in der Herausgabe der Zeitschrift Die Discourse der Mahlern (1721–1723) zusammen mit Breitinger nach dem Vorbild des englischen Blattes The Spectator, oder der verdienstvollen Übersetzung von John Miltons Paradise Lost (deutsch: Johann Miltons Episches Gedichte von dem verlohrnen Paradiese) von 1742. Sie zeigte sich aber auch in Bodmers Wertschätzung für das Mittelalter: Wertvolle mittelalterliche Luxushandschriften wie die Manessische Liederhandschrift oder das Nibelungenlied (in Teilen) gab er heraus und stand damit im Gegensatz zur Verehrung der Antike, wie sie in Frankreich gepflegt wurde. Bodmers und Breitingers ästhetische und literarische Programmatik war von starkem Einfluss auf die Romantik und machte Zürich zu einem literarischen Zentrum. Viele Reisende besuchten die Stadt an der Limmat wegen Bodmer: Sein Haus zum Oberen Schönenberg wurde in den Jahren zwischen 1750 und den 1770er-Jahren geradezu zum Anziehungs- und Treffpunkt der deutschsprachigen Dichtung und des geistigen Lebens.
Es waren Bodmers theoretische Schriften (z.B. Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, 1741), die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die Literaturgeschichte begründeten. Seine eigenen epischen und dramatischen Dichtungen hingegen fanden weniger Anklang. Bodmer förderte ab 1722 den zu seiner Zeit noch als „städtische Bibliotheksgesellschaft“ operierenden Verein der Stadtbibliothek Zürich. Der heutigen Zentralbibliothek vermachte er zudem Teile seines Vermögens, sowie seine Bibliothek und Teile des schriftlichen Nachlasses. Noch heute schmückt sein Standbild den Eingang über der Bibliothek.
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