Angelus Silesius wurde als Johannes Scheffler 1624, in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in Breslau geboren, wo er 1677 auch starb. Er war Theologe und Arzt, ist der Nachwelt aber vor allem durch seine Gedichte bekannt, die von tiefer Frömmigkeit und Mystik geprägt und im Epigrammstil verfasst wurden. Er zählt zu den bedeutendsten Lyrikern der Barockzeit.
Das genaue Geburtsdatum von Angelus Silesius ist nicht überliefert, seine Taufe fand am 25. Dezember 1624 statt. Sein Vater, der polnische Adelige Stanislaus Scheffler, war in Krakau wegen seines protestantischen Glaubens verfolgt worden und hatte daher nach Breslau übersiedeln müssen. Er starb 1639. Die Mutter von Angelus, Maria Magdalena Hennemann, fand zwei Jahre später den Tod. In Breslau besuchte Angelus Silesius das Gymnasium, wo er von dessen Konrektor Christoph Köler in Rhetorik und Poetik unterrichtet wurde.
In Straßburg studierte Angelus Silesius von 1643 an Medizin und Staatsrecht. Anschließend verlegte er sein Studium nach Leiden (1644–1647) und an die Universität Padua (1647). 1648 wurde er dort zum Doktor der Philosophie und der Medizin ernannt. Er nahm Kontakt mit dem Mystiker Abraham von Franckenberg auf, der ihn mit den Schriften von Jakob Böhme bekannt machte. Unter dem Einfluss von Böhmes Werk kam er zu Einsichten, die ihn später den katholischen Glauben annehmen ließen.
Ab 1649 arbeitete Scheffler im niederschlesischen Oels als Leibarzt des Herzogs Silvius Nimrod zu Württemberg-Oels, einem überzeugten Lutheraner. Dort traf er auch Franckenberg wieder, der seit 1650 in der Nähe des Ortes lebte. Nachdem Franckenberg 1652 gestorben war, verfasste Angelus Silesius zu dessen Ehren sein erstes Gedicht, das Ehrengedächtnis, das bereits von seinem unverkennbaren Stil geprägt war. Wenig später kündigte er nach Auseinandersetzungen mit dem Oelser Hofprediger Georg Seidel (der ihm die Druckerlaubnis für eine Sammlung von Texten christlicher Mystiker verwehrt hatte) seine Stelle und wurde niedergelassener Arzt in Breslau.
Der Streit mit dem Hofprediger wurde ihm zum Anlass, sich kritisch mit dem Luthertum auseinanderzusetzen, das seiner Ansicht nach zu wenig Raum für innere Frömmigkeit und mystische Seelenschau zulässt. Am 12. Juni 1653 nahm er in der Breslauer Rektoratskirche St. Matthias den römisch-katholischen Glauben an und änderte seinen Namen in Angelus Silesius (schlesischer Engel oder Bote), inspiriert von dem spanischen Dominikaner und Mystiker Johannes ab Angelis.
Sein Übertritt zum Katholizismus rief bei zeitgenössischen Protestanten große Kritik hervor. Als Reaktion darauf verfasste Angelus in Olmütz 1653 seine Schrift Gründliche Ursachen und Motive zur Rechtfertigung seiner Angriffe. Darin kritisierte er, dass der dogmatische Protestantismus sich als Vernunftreligion verstehe und zu wenig Platz für Innerlichkeit und mystische Erfahrungen lasse. Mit polemischer Schärfe verteidigte er in vielen weiteren Schriften die Gegenreformation Schlesiens. Sein Pamphlet Türkenschrift (1663) wurde zum Anlass, ihn offiziell als Friedensstörer anzuklagen. Einige seiner Lieder wurden von Zeitgenossen als Aufrufe zum gewalttätigen Protest gegen das Lutheranertum interpretiert. Sein Engagement fällt in eine Zeit, in der durch die Rekatholisierung Schlesiens (das seit der Reformation mehrheitlich protestantisch war) konfessionelle Spannungen entstanden.
1654 wurde Angelus Silesius Hofarzt von Kaiser Ferdinand III., 1661 erhielt er die Priesterweihe für die Diözese Breslau. Bei Wallfahrten und Prozessionen trat er als überzeugter Glaubenskämpfer auf, was ihm bei seinen Gegnern den Ruf eines Fanatikers einbrachte. Zwischen 1664 und 1666 stand Angelus Silesius als Hofmarschall in den Diensten des Breslauer Fürstbischofs Sebastian von Rostock. 1668 zog er sich in eine Kloster zurück. Gelegentlich versorgte er im Breslauer Matthiasstift unentgeltlich Arme und Kranke. Er verschenkte sein Vermögen, führte ein streng asketisches Leben, geißelte sich und nahm immer weniger Nahrung zu sich. 1677 starb er im Alter von 53 Jahren.
Seine polemisch-theologischen Schriften (Ecclesiologia) haben aus heutiger Perspektive keine nachhaltige Wirkung hinterlassen und werden nicht als literarisch oder stilistisch wertvoll eingestuft. Seinen Ruhm erwarb er sich vor allem mit der Epigrammsammlung Geistreiche Sinn- und Schlussreime. Sie erschien 1657 in Wien in einer fünf Bücher umfassenden Erstausgabe. 1675 wurde sie um ein sechstes Buch ergänzt und erhielt nun den Titel Der Cherubinische Wandersmann. Das Werk enthält zweizeilige Sprüche im alexandrinischen Versmaß. Auch andere zeitgenössische Dichter hatten sich bereits dieses Formates bedient, darunter Angelus’ Freund Abraham von Franckenberg und der lutherische Poet Daniel Czepko von Reigersfeld. Angelus führte diese bekannte Form zu ihrer Vollendung. Als Vorbilder nannte Angelus Silesius neben dem Kirchenvater Augustinus die Mystiker Meister Eckhart, Bernhard von Clairvaux und Johannes Tauler. Auch die Schrift Das fließende Licht der Gottheit von Mechthild von Magdeburg beeinflusste ihn.
Der Titel dieser Gedichtsammlung weist auf die Cherubim hin. Diese hochrangigen Engelwesen stehen für die angestrebte Nähe zu Gott durch mystische Versenkung. Dieses Ziel drückt sich auch in der formalen Gestaltung der Gedichte aus: Die knappen Zweizeiler verdichten mystische Erfahrungen, indem sie vermeintlich paradoxe Aussagen aufeinandertreffen lassen. Etwas im Grunde Unsagbares soll hier in Worte gefasst werden. Die ersten fünf Bücher der Sammlung entstanden noch, bevor Angelus zum Katholizismus konvertierte und enthalten Gedanken, die eine Nähe zu pantheistischen Auffassungen haben: Immer wieder wird eine allen Erscheinungen zugrunde liegende Einheit beschworen, in der keine Grenzen zwischen Gott, der Natur und dem Menschen mehr zu existieren scheinen. Wer Gott nicht im Grunde seines Herzens und seiner Seele erfahren kann, wird nicht in der Lage sein, ihm näherzukommen – schon gar nicht durch vernunftgeleitete Reflexionen.
Zu einiger Bekanntheit hat es auch seine Liedersammlung Heilige Seelenlust Oder Geistliche Hirtenlieder gebracht, das unter diesem Titel erstmals 1657 in Breslau gedruckt wurde und 1668 in einer erweiterten Ausgabe erschien. Die Melodien zu diesen Liedern (von denen einige noch heute inden Gesangbüchern beider Konfessionen zu finden sind) stammen vorwiegend von dem Breslauer Musiker Georg Joseph.
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